Verurteilt als Soldat und als Verweigerer

Jo Lang berichtet von den Folgen eines seiner Texte in der Kasernenzeitung in den 70er-Jahren, von Prozessen und vom langen Weg bis zur endgültigen Einführung des zivilen Ersatzdiensts.

Zweimal bin ich als Angeklagter vor Militärgericht gestanden. Am 19. Juni 1975 wurde ich auf Schloss Wimmis wegen eines Artikels in der Murtener Kasernenzeitung der Sommer-RS 1974 zu vier Monaten bedingt auf vier Jahre verurteilt. Der Text trug den Titel: «Für die demokratischen Rechte in der Armee». Die inkriminierte Aussage lautete: «Wie für die demokratischen Rechte kämpfen? Indem wir uns die Rechte in den Kasernen einfach nehmen.» Das wurde als «Aufforderung zur Verletzung militärischer Dienstvorschriften» ausgelegt. Der Prozess löste eine Interpellation von Jean Ziegler im Bundeshaus und viele Proteste aus. So schickte Amnesty International aus London ein Telegramm an den Bundesrat und an den Grossrichter Lenz: «Eine Verurteilung bedeutete eine Verletzung der durch die Europäische Menschenrechtskonvention garantierten Meinungsäusserungs-Freiheit.»

Aufruf zur Massenverweigerung
Ich wurde zwar aus der Rekrutenschule, aber nicht aus der Armee ausgeschlossen. So absolvierte ich meine Wiederholungs- und zwei Ergänzungskurse (EK). Der dritte und letzte EK stand 1991 an. Kurz zuvor hatte die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) einen Aufruf zur Massenverweigerung beschlossen, um Druck auf die Einführung des Zivildienstes auszuüben. Viele Bürgerliche und Militärs hatten nach dem 26. November 1989 den hohen Ja-Anteil für eine Schweiz ohne Armee mit dem Fehlen eines Zivildienstes erklärt. Auch wenn diese Interpretation des Resultats etwas verkürzt war, nahmen wir sie auf und verlangten eine schnelle Verfassungsänderung und eine sofortige Amnestie. Weil nach anfänglichen Anstrengungen wieder Sand ins Getriebe kam, sah sich die GSoA herausgefordert, den Druck auf Bundesrat und Parlament zu erhöhen.

Geschichte der Menschenrechte
So schrieb ich meinem Kommandanten, dass ich meinen letzten EK erst mache, wenn es einen Zivildienst gibt. Ich landete vor einem Einzelrichter, der mich zu 20 Tagen unbedingt verurteilte, und zwar ohne Ausschluss aus der Armee. Als ich 1993 ein erneutes Aufgebot erhielt, gab es zwar den Zivildienst in der Verfassung, aber mit der Umsetzung haperte es. Das war umso skandalöser, als am historischen 17. Mai 1982 83 Prozent Ja gestimmt hatten. So schrieb ich meinem Kadi einen zweiten Brief. Diesmal reagierte die Militärjustiz mit einem Prozess, und zwar ausgerechnet an einem 14. Juli und ausgerechnet in Aarau, der ersten Hauptstadt der ersten Schweizer Demokratie 1798. Als Historiker verwandelte ich den Prozess in eine Lektion über die Geschichte der Menschenrechte in der Schweiz. Und mein Verteidiger Marc Spescha, der über den zivilen Ungehorsam promoviert hatte, stellte den GSoA-Aufruf in einen rechtsphilosophischen Zusammenhang. Allerdings kamen unsere Referate beim zahlreichen Publikum besser an als beim Divisionsgericht. So erhielt ich im Sommer 1994 noch einmal 25 Tage unbedingt – diesmal mit Ausschluss aus der Armee. Für zwei verweigerte Wochen bin ich mehr als sechs Wochen gesessen.

Warum überhaupt einrücken?
Warum aber bin ich 1974 überhaupt eingerückt? Immerhin war ich seit dem 17. Altersjahr Mitglied der Internationale der Kriegsdienstgegner (IDK Zug). Aus dem Pinochet-Putsch vom 11. September 1973, wo arme Soldaten auf arme Zivilisten schossen, zogen viele den Schluss: Eine solche Tragödie lässt sich nur verhindern, wenn die Soldaten organisiert sind. Ein innerer Einsatz der Schweizer Armee bei heftigen Unruhen erschien damals nicht nur wegen den geschichtlichen Beispielen, sondern auch angesichts militärischer Analysen und Szenarien höchst plausibel. Die spektakulärste Aktion in meiner RS war eine öffentliche, von der Mehrheit der Rekruten unterzeichnete Erklärung: «Wir werden nie auf Arbeiter, Bauern, Studenten schiessen». Zum ersten Jahrestag des blutigen Putsches in Chile zierte unsere Proklamation viele Mauern und Wände dieses Landes. Die Untersuchung der Militärpolizei verlief darauf dank kameradschaftlicher Solidarität im Sande.

Die Gretchenfrage …
Die Verweigererfrage sollte zehn 10 später eine wichtige Rolle bei der Lancierung der GSoA-Initiative spielen. Am 26.Februar 1984 stimmten zwei Drittel gegen die Tatbeweis-Initiative. Es war den Rechtsbürgerlichen gelungen, aus der Zivildienst-Frage eine Armeeabschaffungs-Frage zu machen. Dies bestärkte viele in der Absicht, die Gretchenfrage mal selber zu stellen. Tatsächlich erhielt die GSoA nach dem massiven Abstimmungskampf der Militärköpfe einen starken Schub von Militär-Verweigerern und Zivildienst-Engagierten. Ohne ihn wäre die am 12. März 1985 gestartete Initiative für eine Schweiz ohne Armee und für eine umfassende Friedenspolitik kaum zustande gekommen.