Von der Privatbank an den Rand der Gesellschaft

Wie ein Zivildienst-Einsatz helfen kann, neue Wege zu gehen, zeigt Christian Müller. Durch seine Zeit als Zivi bei Surprise fand er einen neuen Beruf.

 

Ich leiste seit gut einem Jahr Zivildienst bei Surprise in Basel. Man kennt ja das Strassenmagazin, muss aber auch wissen, dass mehr dahinter steht. Gepackt hat mich Surprise, als ich einen Sozialen Stadtrundgang in Basel machte. Das war mit dem legendären Surprise-Verkäufer Wolfgang vom Bahnhof, der eine so schöne, sonore Stimme hatte und lustig pfiff, wenn er Hefte verkaufte. Leider ist er gestorben. Nach diesem Rundgang war mir klar, dass ich etwas Soziales machen will. Damals arbeitete ich seit sechs Jahren bei einer Privatbank. Ich machte dann einen sechsmonatigen Einsatz bei Surprise. Es gefiel mir. Danach organisierte ich einen Zweiteinsatz und kündigte. Von der Privatbank an den Rand der Gesellschaft. Die beste Entscheidung meines Lebens. Typische Einsatztage gibt es nicht. Sei es, dass ich eine neu eröffnete Aussenstelle mit Heften beliefere oder dass ich bei den wöchentlichen Sprechstunden dabei bin. Mir gefällt es, dass ich viel Kontakt mit Menschen habe. Einmal gestaltete ich ein Zertifikat für die Teilnehmenden einer Fortbildung. Der Kurs war gut besucht, weil die Leute sich mit Zertifikat bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhoffen. Manchmal ist es hart. Menschen mit F-Bewilligung schreiben Bewerbung um Bewerbung und bekommen keine Antwort – und eine B-Bewilligung gibt es ohne Job nicht. Trotzdem ist es wichtig, dass sie sich bemühen. Also helfe ich bei den Bewerbungen.

Den richtigen Weg eingeschlagen

Es gibt so viele Aufgaben hier. So konnte ich bei den Surprise Strassenfussball-Meisterschaften mithelfen. Das ist toll, weil ich Fussball so liebe. Dieses Jahr ging ich ins Vorbereitungslager für die Strassenfussball-WM. Es ist fantastisch, dass Menschen, die sonst im Schatten sind, im Rampenlicht stehen. Mich freut das. Daneben helfe ich Anlässe für die Verkaufenden zu organisieren, etwa im Sommer einen Ausflug auf die Wasserfallen oder die monatlichen «z’Morge» bei uns im Büro. Der Kontakt und die Aktivitäten mit den Verkaufenden machen mir grossen Spass. Man baut eine tiefe Beziehung zu den Verkaufenden auf. So ist es umso schöner, wenn man sieht, dass einzelne Fortschritte machen und beispielsweise eine neue Stelle finden.Zweimal im Monat, wenn die neue Ausgabe geliefert wird, fällt viel administrative Arbeit an. Dann müssen die Hefte ans Team verteilt und für den Postversand vorbereitet werden. Wenn der erste Verkaufstag ist, an dem unsere Verkaufenden Ausgaben kaufen können, geht es hoch zu und her. Dann wird stundenlang laut diskutiert, und es ist schwer, den Überblick zu behalten. Ans Limit bringen mich die ab und zu heftigen Diskussionen mit einzelnen Verkaufenden. Manche wollen mit Heften abschleichen. Da muss ich hart bleiben. Es macht keinen Sinn, immer ein Auge zuzudrücken. Manchmal gibt es heftige Situationen. Da ist es am Abend schwer, abzuschalten – zugleich macht es mich sicher, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben.

Genau hinschauen

Wegen meinem Zivi-Einsatz hat man mich noch nie angefeindet. OK, mein Bruder ist Grenadier, der zieht mich auf. Aber ich meine, hey, der ist mein Bruder. Ich ärgere ihn dann, weil er bei der Chemischen ist. Sonst bekomme ich positive Rückmeldungen. Viele freuen sich, dass mir der Zivildienst half, neue Wege zu gehen. Die Angriffe auf den Zivildienst kann ich nicht verstehen. Ich sehe nicht ein, warum man da «z leid werchle» muss. Ich bin kein Armeegegner. Katastrophen wie der Erdrutsch von Bondo zeigen, dass wir eine Armee brauchen. Aber wenn schon, eine Berufsarmee. Was mich nachdenklich stimmt ist, dass bei meiner Aushebung kein Wort über den Zivildienst gesagt wurde. Warum wird der Zivildienst bei den Aushebungen totgeschwiegen?Vielleicht sollte der Zivildienst noch mehr aufzeigen, wie viel wir alle Zivi-Einsätzen verdanken. Was mir aber genau so wichtig ist: es muss strenge Qualitätskontrollen geben bei den Einsatzbetrieben. Ich finde es nicht gut, wenn es Zivi-Stellen gibt, wo nur Zeit totgeschlagen wird oder es werden Papierkugeln herumgeworfen. Oder wenn Einsätze im Naturschutz geleistet werden, und Zivis machen Arbeiten, die eigentlich Aufträge für lokale Gartenbauunternehmen wären. Da muss man genau hinschauen, um glaubhaft zu bleiben.Nach diesem Einsatz bin ich fertig mit meiner Dienstzeit. Nachher will ich an der FH Luzern soziokulturelle Animation oder soziale Arbeit studieren. In ein paar Jahren sehe ich mich in einem selbst initiierten sozialen Projekt.