Zu Besuch beim veganen Koch-Tanz-Clown-Zivi

Gross war die Aufregung, als die Gratispresse im Juni "herausfand", dass Zivis beim Circolino Pipistrello Dienst leisten. Es hiess, dass Zivis hier "den Clown spielen". Was machen die Zivis wirklich beim Circolino Pipistrello? Zu Besuch bei Gabriel Obergfell.

Gleich bei der Post in Hergiswil hat der Circolino Pipistrello sein Quartier aufgeschlagen. Ich eile ins Zelt; die Generalprobe beginnt. Der Leopard trägt ein knallgelbes T-Shirt unter seinem Fell; er tänzelt barfuss über den steinigen Boden vor der Manege. Jemand schlendert übers Klavier, Fetzen von Melodien, unterbrochen vom Schlagzeug. Dazu ein Windspiel. «Wenn’s mier langwilig wird», verkündet ein kleines Mädchen, dass sich mit zwei Freundinnen unterhält, «gehe ich einfach.» Es wird ihr nicht langweilig. Sie und ihre Freundinnen lachen, staunen und tuscheln, vor und während der Probe. Beim Mittagessen lerne ich Thea und Gabriel kennen. Sie arbeitet seit zwei Jahren hier. Er leistet seit drei Monaten Zivildienst bei den Pipis. Gabriel absolvierte eine Lehre als Koch und ging dann an die Dimitri-Schule. Darauf folgte die RS, waffenbefreit, als Koch. Er war entschlossen, seinen Teil an die Gesellschaft zu leisten. Am vierten Tag zwang man ihn, ein Sturmgewehr zu nehmen. Noch heute stockt er, wenn er von seiner körperlichen Reaktion darauf berichtet. Wie gelähmt stand er da, zitterte. Wusste, er musste hier raus. Es ist ihm wichtig zu betonen, wie viel er vom neuerdings auch in bundesrätliche Münder geratenen Begriff «Abschleicher» hält. Gar nichts. Er ist auch sehr kritisch gegen Zivis, die immer nur posaunen, wie entspannt Zivildienst sei, verglichen mit dem Militär. Gabriel ist aus Überzeugung hier, weil er der Gesellschaft etwas zurückgeben will. Er will mit Herzblut bei der Sache sein, nicht einfach nur Dienst nach Vorschrift machen. Momentan ist eine Gruppe von Kindern von Auslandschweizern zu Gast. Sie kommen aus Afrika, China, Frankreich und vielen anderen Ländern der ganzen Welt. Hier lernen sie zwei Wochen lang ihre andere Heimat kennen. Langweilig wird es Gabriel nie – er ist vollwertiges Mitglied des Zirkus-Teams und wird gebraucht. Heute betreut er mit Thea eine Kindergruppe, die eine Trapez-Choreographie einstudiert hat. Die Kinder schweben schon über den Manegenboden, bevor sie sich an den Seilen und Wickeltüchern zu schaffen machen. Sie wollen zeigen, was sie gelernt haben. Gabriel berichtet mir ein schönes Erlebnis. Es kam einmal ein Junge auf ihn zu. «Wenn ich übe», sagte er: «werde ich ja besser!» Es ist ein Satz, der Gabriel bis heute zum Lachen bringt. Er kann ihn sich für seine diesen Herbst beginnende Tänzer-Ausbildung hinter die Ohren schreiben. Wobei das nicht nötig sein wird, er hat seine Planung im Griff. Auch neben dem Training mit den Kindern hat Gabriel viel zu tun: das geht vom Auf- und Abbau der Zelte über Arbeiten an der Elektrik bis hin zu jenen unvorhersehbaren Arbeiten, die bei einem Wanderzirkus anfallen. Ausserdem arbeitet er seinen Zivi-Nachfolger ein. Ein so nahtloser Wechsel ist ein Glücksfall. So kann er sein gesammeltes Wissen rechtzeitig weitergeben. Bald geht das wuselige Zirkustreiben ohne Gabriel weiter. Wie lange er wohl brauchen wird, um sich an seine neue Wohnung ohne vier Räder zu gewöhnen? «Naja, eine Umstellung wird das schon. Aber für den Einsatz in der Flüchtlingsbetreuung ist die Unterkunft organisiert. Und nachher, für die Tanz-Ausbildung, muss ich erst noch etwas finden.» Als ich ihn auf die Bestrebungen, eine Uniformpflicht für Zivis einzuführen, anspreche, sagt er: «So schlecht ist das vielleicht gar nicht. Manch ein Zivi-Feind wird staunen, wenn er sieht, wo überall Zivis arbeiten. Mir sagen die Leute oft: ‹Aha, Sie zirküsseln also ein bisschen.› Wenn die wüssten, dass ich Zivi und seit zwei Jahren Veganer bin, bei Dimitri in die Schule ging und jetzt auch noch Tänzer werde! Aber im Ernst: Wenn ich den Skeptikern vom Zeltauf- und Abbau erzähle, von den langen, strengen Arbeitszeiten, davon, wie es ist, über Monate mit so vielen so Menschen zu arbeiten und als Team so eng aufeinander zu sein, relativiert sich diese Ablehnung meistens.» Apropos Uniform! Beim Animationswagen, wo die Kostüme lagern, spreche ich Gabriel auf die schlechte Presse an, die den Einsatz bei den Pipis mehr oder weniger als Clownerie bezeichnete: «Das war doch unterste Schublade!», sage ich. «Ja, was meinst du, wie ratlos wir hier alle vor dem ‹20 Minuten› und ‹Blick am Abend› gesessen sind! Von denen hat sich keiner gemeldet, um rauszufinden, was wir tun.» «Wo sind hier überhaupt die Clownnasen?», frage ich. Gabriel zuckt mit den Schultern, verloren zwischen Schubladen und Gestellen. «Die hab ich noch nie gebraucht», meint er. «Ach, da schau mal her», tönt es kurz darauf: «Da sind sie ja!» Gabriel bückt sich. Er langt in die Tiefe. In die zweitunterste Schublade.