Zwischen Militärmusik und GSoA-Initiative

Urs Urech spielte 1989 Trompete, als Brigadiers gegen die GSoA-Initiative einheizten. Später verweigerte er aus Gewissensgründen und wurde zu Arbeitsdienst verurteilt, der in Zivildienst umgewandelt wurde. Für uns blickt er zurück.

«Wenn du den Militärdienst verweigerst, verliere ich meine Arbeitsstelle als Gemeindeschreiber!», war der entsetzte Ausruf meines Vaters, als ich meine Eltern im Sommer 1989 nach 4 Wochen Rekrutenschule in Aarau in meinen Plan einweihte. Ich glaubte ihm nicht, aber die Drohung wirkte und ich rückte wieder ein. Damals gab es nur drei Optionen für Schweizer Männer: Dienst, Arzt oder Psychiater. Da ich gesund war und ein psychiatrisches Gutachten meine Aufnahme ans Lehrerseminar gefährdet hätte, hatte ich mich für die Militärmusik beworben. Ich wurde als Trompeter aufgeboten. Dies war die familiäre Tradition meines Vaters und Grossvaters und ermöglichte auch mir einen waffenlosen Dienst. «Schoggibuben» wurden wir genannt, weil wir keine Gefechtsausbildung erhielten und weil wir mit dem Bus an die Auftrittsorte fuhren. Doch im Herbst 1989 lief die politische Schlacht der Armee gegen die GSoA gerade auf Hochtouren und wir waren eines der Propagandainstrumente.

Gedrillt auf tadellose militärische Auftritte und Aufmärsche, spielten wir oft für Politiker wie den damaligen Nationalrat Blocher und den Bundesrat Villiger. Wir wurden an den Diamantfeiern eingesetzt und spielten für Stadtpräsidenten, Brigadiers und Kreiskommandanten, die dem Schweizer Volk für die kommende Abstimmung einheizten.

Klassentreffen in den Kasernen
Einzigartig abartig waren die «Diamant»-Feiern, als die Schweizer Armee die sogenannte Aktivgeneration, die Soldaten vom Zweiten Weltkrieg für Klassentreffen in die Kasernen einlud, um sich bei Ihnen zu bedanken und damit den Kriegsausbruch von 1939 zu feiern. Wir spielten die Märsche aus der Kriegszeit, der Politiker (selber ein hochgradiger Offizier), der Militärpfarrer (ein Katholik oder Protestant) und der Militarist (oft ein Brigadier oder Waffenplatzkommandant) hatten in ihren Ansprachen alle dieselbe (Kriegs-)Botschaft und dann wurde den Veteranen Suppe mit Spatz in der Gamelle und anschliessend Kafi mit Schnaps und krumme Villiger Stumpen serviert. Draussen vor der Kaserne standen die Stellwände zum Geschichts-«Lehrmittel» der Offiziersgesellschaft, das die Kriegszeit glorifizierte, die Igel- oder Bunkermentalität hochhielt und der Armee den Ausschlag für den Nichteinmarsch Hitlers zubilligte.

Ich fand unterdessen meinen eigenen Schatten auf dem Kasernenplatz unausstehlich. Es wurde mit jeder Woche untragbarer. Am 9.11.89 fiel die Berliner Mauer. Am 28.11. war die Abstimmung zur Schweiz ohne Armee. Ich durfte noch nicht abstimmen, weil ich erst Anfang Dezember volljährig und stimmberechtigt wurde. Auch ohne mich erzielte die GSoA einen denkwürdig hohen Ja-Anteil von 35,6 %, bei einer sensationellen Stimmbeteiligung von fast 70 %. Wir trugen derweil Unterhosen mit dem GSoA-Logo und einige wenige hatten auch den unscheinbaren GSoA-Ansteckknopf an der Uniform, der genau so aussah wie die Militärabzeichen, die die Soldaten auf der Brust trugen.

Böser Blick im Zürcher Oberland
Die Rekrutenschule war im Kalten Krieg verankert. Wir übten nukleare Abwehrkämpfe (hinter die Mauer liegen und eine Spritze in den Oberschenkel drücken) und wir mussten bei Gefechtsübungen die Rucksäcke unserer Kameraden bewachen und vor den angreifenden Russen beschützen. Mein Spielführer rügte mich, ich hätte bei einem Auftritt im Zürcher Oberland verärgert ins Publikum geschaut – er hatte Beschwerden von der lokalen SVP erhalten – und teilte mich zum Küchendienst ein, damit ich keine Zeit mehr hätte, pazifistische Bücher zu lesen. Beim Abschied am Ende der RS gab der Spielführer allen Rekruten die Hand, nur bei mir zeigte er auf meine Brust (jemand hatte mich verraten), warf mir vor, ich sei ein Staatsverräter und solche Leute können er nicht ausstehen, er trage auch privat seine Pistole immer mit sich und ich solle ihm besser nie mehr über den Weg laufen …

Erst im Frühling 1991 nach meinem ersten WK war ich bereit, gegen den Willen meiner Familie und der meisten meiner Freunde den Militärdienst zu verweigern. Ich tat dies im Wissen, dass damit eine Anstellung als Primarlehrer erschwert wird und dass eine lange Gefängnisstrafe für Dienstverweigerer gängig war.

Aber die Zeiten änderten sich damals in der Schweiz und mein Ankläger vor dem Militärgericht in Aarau plädierte auf Arbeitsdienst anstatt Gefängnis. Dass ich in Zivil und nicht in Uniform erschien, erhöhte zwar das Strafmass, aber weil ich strikt biblisch-pazifistisch und nicht politisch argumentierte, konnte ich im April 1996 meinen neunmonatigen Arbeitsdienst antreten, der dann im Sommer in den Zivildienst umgewandelt wurde.

Sprache aus letztem Jahrhundert
Seit 23 Jahren bin ich nun teil- und hauptberuflich in der Antirassismusarbeit, der Gewaltprävention, der Sensibilisierung auf sexuelle Übergriffe und in der kirchlichen Friedensarbeit aktiv, seit einem Jahr als Geschäftsleiter der SET, Stiftung Erziehung zur Toleranz. Die Alpträume von der Pistole meines Spielführers in jeder Nacht im Schlafsack sind nach einigen Jahren vergangen, aber die Sprache und das Denken einiger bürgerlicher Politiker, wenn sie sich über den Zivildienst äussern, scheinen weiterhin im letzten Jahrhundert zu verharren.

Urs Urech, Lehrer, Soziokultureller  Animator, Trainer und Erwachsenbildner. Er ist in der Friedensarbeit tätig und Präsident der Christlich-Jüdischen  Arbeitsgemeinschaft, CJA Schweiz.