Im Einsatz für Kinder

Drei Zivis berichten von ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit Familien- und Verhaltensproblemen. Ein Artikel aus der Zeitung «Non Violenza» des Centro per la non-violenza della Svizzera italiana (CNSI).

Das Institut Von Mentlen in Bellinzona ist ein Heim für Kinder und Jugendliche mit Familien- und Verhaltensproblemen im Alter von 3 bis 18 Jahren. Das 1925 gegründete Zentrum ist eine vom Kanton Tessin und der Eidgenossenschaft finanzierte private Stiftung, in der Sozialpädagogen, Praktikanten und Zivis arbeiten. Es ist das grösste kantonale Bildungszentrum für Minderjährige und kümmert jährlich um etwa 200 Minderjährige.

Seit dem Jahr 2013 hat das Von-Mentlen-Bildungszentrum bis zu sechs Zivis pro Jahr. Sie helfen tatkräftig bei den Aktivitäten der jungen Bewohner mit: «Unsere Philosophie ist es, jungen Menschen zu helfen», erklärt Vito Lo Russo, der seit drei Jahren Direktor des Zentrums ist. «Den Zivis kommt eine sehr wichtige Rolle zu, weil sie in der Lage sind, spontan und unverkrampft mit den jungen Menschen zu interagieren.» Das Institut beschäftigt momentan vier Zivilisten: «Zivilisten erkennen es oft nicht, aber sie sind grossartige Ressourcen», sagt Lo Russo.

Eine komplexe Realität
«Die Herausforderungen für unsere Zivis sind vielfältig. Wir arbeiten mit Minderjährigen von durchschnittlicher Intelligenz. Sie reagieren sehr verschieden: So kann es auch mal physische oder verbale Gewalt geben. Ein weiteres Problem ist die geringe Altersdifferenz: Für Zivis kann es schwierig sein, die richtige Distanz zu den Jugendlichen zu finden. Man ist einerseits auf freundlichem Fuss, muss gleichzeitig aber mit den Erziehern zusammenarbeiten», räumt der Direktor ein.

Es kommt vor, dass potenzielle Zivis nach dem ersten Kennenlern-Gespräch auf den hiesigen Einsatz verzichten: «Wenn ich über Gewalt spreche, wollen einige Leute nicht mehr hier arbeiten», fährt er fort. Lo Russo sagt, er sei sehr zufrieden mit den jungen Leuten, die im Von Mentlen Struktur arbeiten. Er anerkennt aber auch die unterschiedlichen Rollen der Zivis und der Pädagogen: «Die Zivis arbeiten nie allein: es gibt immer die Pädagogen, die sie begleiten, mit Ausnahme der Fahrten zwischen Schule und Zuhause.»

Die möglichen verbalen und körperlichen Misshandlungen in den Jugendbildungszentren werden weitgehend aufgewogen durch eine Beschäftigung, die Raum für persönliche Kreativität und ein menschenwürdiges Verhältnis zu den Bewohnern schafft. Das jedenfalls geht aus den Worten von Giaele, Vincenzo und Arturo hervor, den drei Zivis, die momentan im Von-Mentlen-Bildungszentrum arbeiten.

Kindern ein Lächeln schenken
Arturo,  zukünftiger Student an der ETH Zürich, erklärt, warum er sich für die Arbeit mit Kindern entschieden hat: «Auf meine Art kann ich ihnen Momente der Freude schenken, indem ich ihnen erlaube, sich ein wenig von der schwierigen familiären Realität loszulösen.»

«Ich sehe es als eine Mission: diesen Kindern ein Lächeln zu schenken, ist doch lohnend. Wir geben ihnen Zuneigung, die sie zu Hause oft nicht bekommen, und diese Zuneigung beruht auf Gegenseitigkeit», sagt Giaele, der seinen Dienst bald beenden wird.

«Ich stehe kurz vor dem Ende meines Zivildiensts. Mit tut es leid, dass ich hier raus muss. Eine Beziehung zu Teenagern aufzubauen, ist zwar schwierig, aber es gibt mir Befriedigung. Auch hier, auf einer kreativen Ebene zwischen Spielen und Heimwerken, gibt es viel Potenzial», sagt auch Vincenzo, ein 29-Jähriger, der ebenfalls am Ende seines Zivildiensteinsatzes steht.

Viel Verantwortung
Im Von Mentlen begleiten die Zivis die Minderjährigen aber auch zu Fuss oder mit dem Auto zu Arztterminen oder in die Schule. Beides sehr verantwortungsvolle Aufgaben. In der Komplementarität der von den Zivis mit einer gewissen «Leichtigkeit» erledigten Aufgaben und der Professionalität des Fachpersonals liegt ein Mehrwert, auf den man bei der Von Mentlen Wert legt. Jeder Zivi wird von zwei Pädagogen flankiert, mit denen er bei der täglichen Betreuung der Kinder zusammenarbeitet: «Die Aufgabenteilung ist transparent, man wird nicht von Diskussionen über Entscheidungen ausgeschlossen. Es wird viel kommuniziert: Wenn ein Junge etwas Schlimmes anstellt, erfahren wir Zivis das auch», erklärt Giaele. «Wir sind aktiv am Leben der Kinder beteiligt, aber nicht an den Entscheidungen», präzisiert Vincenzo.

Zusammenarbeit und Unterstützung sind wichtig für die Zivis, um die Herausforderungen zu meistern, vor denen sie hier stehen: «Wenn es an Respekt mangelt, besprechen wir das mit den Erziehern und versuchen, gemeinsam eine kohärente Linie zu finden. Die Kinder merken sofort, wenn es keinen Zusammenhalt zwischen den Mitarbeitern und uns Zivis gibt, und sie nutzen das zu ihrem Vorteil», sagt Vincenzo. «Verbale Gewalt ist an der Tagesordnung», sagt Arturo. «Bevor ich schlafen gehe, denke ich oft über familiären Realitäten der Kinder nach», fügr Giaele hinzu.

In der möglichen Altersnähe zwischen Zivis und den Jugendlichen sehen die Zivis hingegen kein Problem: «Mit älteren Bewohnern gibt es nicht viel Kontakt, ausser am Tisch, denn sie sind autonom. Ich sehe also nicht das Problem der Altersnähe», sagt Giaele zu diesem Thema.

Zivildienst als wichtige Erfahrung
Während Arturo künftig in Richtung Ingenieurwesen gehen wird, haben sich Vincenzo und Giaele für die Arbeit im sozialpädagogischen Bereich entschieden: «Ich wollte immer schon im Bildungsbereich arbeiten. Mein Zivi-Einsatz war eine Gelegenheit, um herauszufinden, ob die Arbeit als Sozialarbeiters tatsächlich etwas für mich ist. Ich geniesse diese Arbeit wirklich sehr. Nächstes Jahr werde ich die Ausbildung zum Grundschullehrer anfangen», sagt Giaele. Auch Vincenzo stimmt zu: «Aus eigenem Interesse habe ich mich für den Zivildienst im Sozial-Bereich entschieden. Weil es mir so gut gefallen hat, werde ich in diesem Bereich bleiben. Der Zivildienst hat mir bei dieser Entscheidung geholfen.»

Giaele, Vincenzo und Arturo