Schweiz braucht Dienst an Allgemeinheit

Meret Staub hat eine Matura-Arbeit über den Dienst an der Allgemeinheit geschrieben. Im Interview erklärt sie ihr Wunschmodell – und wo sie gerne als Zivi arbeiten würde.

Du hast deine Maturarbeit zum Thema «Dienst an der Allgemeinheit» geschrieben. Wie sieht in groben Zügen deine Idee eines solchen Diensts aus?

Der Dienst an der Allgemeinheit beruht auf dem Ideal, dass sich alle für alle einsetzen. Der Dienst soll folglich Männer und Frauen, Schweizer und niedergelassene Ausländer umfassen und dem Milizprinzip unterliegen. Niedergelassene Ausländer gilt es sowohl zur Förderung der Integration als auch zur Verhinderung unverhältnismässiger Bevorteilung auf dem Arbeitsmarkt in den Dienst miteinzubeziehen. Zusätzlich sollten anerkannte Flüchtlinge die Möglichkeit haben den Dienst leisten können. Im Rahmen des Dienstes könnten alle Teilnehmenden gemäss ihrer Tauglichkeit, Eignung und Bedarf der Dienstorganisationen frei entscheiden, wie sie ihren Dienst leisten wollen, was die Motivation der Pflichtigen markant erhöhen würde.

Wie lange würde in deinem Modell jede einzelne Dienstform dauern?

Der Militärdienst würde weiterhin 245 Tage dauern, jedoch würde ihm ein gleichberechtigter Gemeinschaftsdienst mit einer Dauer von 180 Tagen und einem nachgelagerten Bürgerdienst, zur Seite gestellt. Der Gemeinschaftsdienst ersetzt den Zivildienst und soll in Anspruch und Wahrnehmung dem Militärdienst gleichwertig sein, deshalb die Namensänderung.

Welche Art Arbeit fällt unter diesen «Bürgerdienst»?

Dem Bürgerdienst könnte grundsätzlich jede institutionalisierte, gemeinnützige Freiwilligenarbeit angerechnet werden, womit eine der tragenden Säulen der schweizerischen Gesellschaft gestärkt würde.

Welches sind deiner Meinung nach die Vor- und Nachteile eines solchen Systems?

Der Dienst an der Allgemeinheit gewährleistet den personellen Bedarf aller Dienstorganisationen, während es der Armee aktuell vermehrt nicht gelingt, ihren Bedarf an Rekruten und Spezialisten zu decken. Zudem ist er auf zukünftige gesellschaftliche Herausforderungen wie den demographischen Wandel ausgerichtet und setzt die Gleichberechtigung in die Tat um. Kritisiert wird, dass der Einbezug der Frauen eine unzumutbare Mehrbelastung darstelle. Heute werden Frauen aber nicht als gleichwertige Bürgerinnen anerkannt, sondern nur fadenscheinig den Männern gleichgestellt – das muss sich ändern. Das Konzept würde auch einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Kohäsion leisten und zwänge die Armee zu glaubwürdigen Reformen, um ihre Attraktivität zu erhöhen, da sie in direkter Konkurrenz zum Gemeinschaftsdienst stände.

An welchen Ländern hast du dich orientiert bei deinem Dienstsystem-Entwurf?

Ich habe mich auf Norwegen konzentriert, da die Studiengruppe des Bundesrates am Ende ihres Berichts zum Befund kommt, dass unser Dienstpflichtsystem nach Norwegischem Vorbild weiterentwickelt werden soll. Davon distanziere ich mich deutlich, denn dies würde eine Abkehr von der Milizarmee hin zur Berufsarmee bedeuten und der Zivildienst würde abgeschafft werden. Die Schweiz sollte sich Norwegen dort zum Vorbild nehmen, wo effektiv Aufholbedarf besteht: bei der Integration von Frauen und bei der Rekrutierung von Spezialisten.

Warum hast du als junge Frau dieses Thema gewählt?

Mein Interesse hört nicht dort auf, wo ich aktuell nicht direkt davon betroffen bin. Im Gegenteil. Auch wenn ich vom Status Quo des Schweizer Dienstpflichtsystems nicht umfasst werde, versuche ich mit dieser Arbeit mein Bestes, ihn weiterzuentwickeln, weil ich überzeugt bin, dass er dies dringend nötig hat.

Wie waren die Reaktionen auf deinen Entscheid?

Die häufigste Reaktion war ein verwirrtes «Was machst du als Maturitätsarbeit?», gefolgt von einem: «Ja, aber du musst ja gar nicht ins Militär, du bist ja eine Frau.» –  Eine Aussage, mit der ich mich nie abfinden konnte.

Könntest du dir vorstellen, dich fürs Militär ausheben und einteilen zu lassen, um danach in den Zivildienst zu wechseln?

Nein, denn dazu müsste ich mich erst freiwillig bei der Armee melden, dort für militärdiensttauglich erklärt werden, um mich danach aus Gewissensgründen dem Militärdienst zu verweigern. Ich möchte mich aber auf jeden Fall an unserer Gesellschaft erkenntlich zeigen – am liebsten natürlich im Dienst an der Allgemeinheit.

Gibt es Zivildienst-Einsatzbetriebe, in denen du besonders gerne arbeiten würdest?

Ich würde mich gerne in einem Altersheim oder im Asylbereich engagieren.

Kannst du dir vorstellen, warum Zivis, die eine Gewissensprüfung machen mussten, teilweise Mühe haben, die Beweggründe heutiger ganz junger Zivis zu verstehen?

Es ist mehr als angebracht gewesen, die Gewissensprüfung abzuschaffen. Wenn man sich allerdings nur als Zivi meldet, weil dies vermeintlich einfacher scheint, ist dies bedauernswert aber wohl unvermeidbar.

Was ist unter deinen Kollegen häufiger: Militär, Zivildienst oder sich UT schreiben lassen?

Alles kommt vor, allerdings kenne ich niemanden, dem der Militärdienst in der heutigen Form gefällt.

Du hast eine umfangreiche, differenzierte und anregende Maturarbeit zu einem komplexen gesellschaftlichen Thema geschrieben – wirst du dieses Interesse auch weiter verfolgen? Was sind deine weiteren Pläne?

Mein Ziel ist es, meine Arbeit in den politischen Diskurs einzubringen – die Schweiz braucht den Dienst an der Allgemeinheit.

Meret Staub erhielt für ihre Maturarbeit «Dienst an der Allgemeinheit» den 1. Preis des Peter-Dolder-Preises. Nachfragen an: terem.buats@hotmail.com.