Wo lang, Zivildienst?

Die eidgenössischen Wahlen vom 20. Oktober haben die politische Landschaft in der Schweiz stark verändert. Im Nationalrat könnte sich einiges ändern. Eine Analyse von CIVIVA-Co-Präsident Samuel Steiner.

Im diesjährigen smartvote-Fragebogen war eine Frage zu Zivildienst-Gesetzesänderung enthalten. Eine Mehrheit der Kandidierenden und der gewählten Mitglieder des Parlaments haben diesen Fragebogen vor den Wahlen ausgefüllt und sich dadurch in der Zivildienstfrage positioniert. Die Resultate geben einen Grund zu (verhaltener) Hoffnung. Die Frage lautete: «Soll auf die vom Bundesrat vorgeschlagene Verschärfung der Zulassungsbedingungen zum Zivildienst verzichtet werden?» – Wer mit «Ja» geantwortet hat, will den Zivildienst mit den heutigen Regeln erhalten, wer «Nein» gestimmt hat, befürwortet die massiven Verschärfungen bei der Zulassung.

Von den 4652 Frauen und Männern, die 2019 für den Nationalrat kandidiert hatten, haben 3895 die smartvote-Umfrage ausgefüllt. Eine Mehrheit von gut 63 % lehnt die Verschärfungen bei der Zulassung zum Zivildienst ab, nur knapp 37 % sind dafür. Diese Zahlen können einen Hinweis geben, wie die Bevölkerung zum Zivildienst eingestellt ist. Viele Menschen wissen, was der Zivildienst für Gesellschaft und Umwelt leistet. Sie haben kein Verständnis für Zulassungs-Einschränkungen.

Konstruktivere Zivildienst-Politik
Von den 200 gewählten Mitgliedern des Nationalrates lehnt gemäss smartvote-Daten eine knappe Mehrheit von 103 die Verschärfungen ab. Ob diese Mehrheit auch bei einer Abstimmung im Rat Bestand hat, ist fraglich. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Erstens wurde die Frage auf smartvote kompliziert formuliert, was zu falschen Antworten führen könnte. Zweitens werden sich die Fraktionen wohl darum bemühen, dass sich «Abweichler» der Mehrheitsmeinung in der Fraktion anschliessen. Auf jeden Fall wird die Stimmung im Nationalrat gegenüber dem Zivildienst deutlich anders sein als in der letzten Legislatur. 60 Nationalrätinnen und Nationalräte wurden im Oktober neu ins Parlament gewählt. Bei ihnen ist der Grund zu finden, dass vom neuen Nationalrat eine konstruktivere Zivildienst-Politik zu erwarten ist. Von den neu gewählten Ratsmitgliedern lehnt eine Mehrheit von 42 Personen bzw. 70 % die Änderung des Zivildienstgesetzes ab. Nur 18 der Neuen (30 %) sind für die Verschärfungen.

Parteien und Geschlechter
Grüne, SP, Grünliberale und EVP stellen sich geschlossen hinter den Zivildienst. Je 5 Mitglieder von CVP und FDP, 4 der SVP und 1 der BDP schliessen sich dem Pro-Zivildienst-Block an. Die Mehrheit dieser Parteien ist der Meinung, dass der Zugang zum Zivildienst eingeschränkt werden soll.

Interessant ist ein Blick auf die Geschlechterverhältnisse: 60 der 84 Frauen im Nationalrat (71 %) stellen sich hinter den Zivildienst, aber nur 44 der 117 gewählten Männer (38 %). Obwohl die Frauen nach wie vor in der Minderheit sind, gibt es im neuen Nationalrat mehr Zivildienst-Unterstützerinnen als -Unterstützer.

Die Antworten wurden von den Kandidierenden im Sommer 2019 abgegeben. Von den 200 gewählten Nationalrätinnen und Nationalräten haben 188 die Frage beantwortet. 12 Gewählte haben darauf verzichtet, sie gehören zur SVP (7), FDP (4) und CVP (1) und wurden in allen Berechnungen als «Nein» miteinbezogen. Bei Redaktionsschluss war der Ständerat wegen 2. Wahlgängen noch nicht vollständig gewählt, auf eine Auswertung wurde deshalb verzichtet.

CIVIVA bleibt wachsam
Auch im neuen Parlament wird es der Zivildienst nicht leicht haben. Die drei grossen bürgerlichen Parteien CVP, FDP und SVP haben zusammen eine komfortable Mehrheit und ihre Vertreterinnen und Vertreter sind mehrheitlich der Meinung, dass der Zugang zum Zivildienst eingeschränkt werden soll. In allen Parteien gibt es aber Personen, die sich für den Zivildienst einsetzen, insbesondere bei den neu gewählten Ratsmitgliedern. Wir dürfen hoffen, dass die Diskussionen über den Zivildienst in der sicherheitspolitischen Kommission und im Nationalrat in den kommenden vier Jahren differenzierter, sachlicher und konstruktiver als in der letzten Legislatur sein werden. Ob daraus auch eine wirklich zivildienstfreundlichere Politik entsteht, ist noch offen. CIVIVA setzt sich auch in den nächsten 4 Jahren für einen wirkungsvollen, zugänglichen und starken Zivildienst ein.