Für eine offene Diskussion

Die Debatte rund um den Zivildienst läuft in vielerlei Hinsicht

ausser Kontrolle. Ein kritischer Essay von Alois Vontobel.

Mir scheint, die Auseinandersetzung mit dem Thema Zivildienst wird schwieriger – für mich persönlich, da ich aufgrund fortschreitender Altersdifferenz den Draht zu heute aktiven Zivis fast komplett verloren habe, aber auch als Debatte innerhalb der Gesellschaft. Diese wird in immer schärferem Ton geführt. Schnelle und laute, gleichzeitig aber unpräzise und bisweilen auch falsche Wortmeldungen verhindern in ihrer aufmerksamkeitsheischenden Art häufiger eine sachliche Diskussion, in der auch Graustufen vorkommen dürfen. Indem wir als Gesellschaft ein heute wie gestern kontroverses und komplexes Thema gänzlich verpolitisieren, nehmen wir simple Meinungen statt fundierte Argumente, moraltriefende und abwertende Äusserungen statt konstruktive und kritische Anregungen in Kauf. Das Thema Zivildienst könnte in Zeiten grosser technologischer Veränderungen und ausgeprägtem Individualismus an Tragweite gewinnen, würden wir die konkreten Auswirkungen auf die soziale Kohäsion untersuchen und schätzen lernen. ParlamentarierInnen jeglicher politischer Couleur hecken offenbar jedoch lieber stets neue Ideen aus, mittels politischer Instrumente wie Motionen, Interpellationen etc. meist kosmetische, teils aber auch substanzielle und nicht über jeden Zweifel erhabene Änderungen der heute geltenden rechtlichen Grundlagen in ihrem Sinne zu verlangen. Die LMC hat die Vorschläge jeweils detailliert wiedergegeben und kommentiert, daher möchte ich nicht mehr darauf eingehen. In der bereits aufgeheizten Stimmung hat sich schliesslich der zuständige Bundesrat entschieden, eine Gesetzesrevision anzustrengen, um gemäss eigenen Angaben die Bestände der Armee zu sichern. Es scheint, als habe er sich dabei nicht mehr von der vorher hochgehaltenen Überzeugung leiten lassen, dass der Zivildienst diese Bestände eben nicht gefährde, sondern sei von der gerade dominierenden negativen Stimmungsmache einiger Exponenten der bürgerlichen Ratsmehrheit mitgerissen und des autonomen Denkens kurzzeitig überdrüssig geworden. Diese ganze Entwicklung stimmt nachdenklich und missfällt mir ungemein.

Erstens sollen für hausgemachte Probleme, unerheblich ob diese im Bereich selbständiger Korrektur lägen, Andere verantwortlich gemacht werden. Eine Tendenz, die allgemein verstärkt um sich greift. Konkret beschreibt die Revisionsvorlage sieben Massnahmen, die zu Lasten der «Attraktivität» des Zivildienstes gehen, ein Ausdruck übrigens, der hier natürlich negativ gemeint ist und durch eine Sicherheitspolitikerin geprägt wurde, die sich immer wieder bemühte, positiv besetzte Begriffe umzudeuten und gegen den Zivildienst einzusetzen. Unvergessen diesbezüglich ihre fantasievolle, aber entlarvende Definition einer «gerechten» Ausgestaltung der Dauer von Militär- und Zivildienst indem der Faktor 1,5 auf 1,8 erhöht werden sollte.

Zweitens die Reaktionen auf die Vernehmlassungseröffnung, seien es die grösstenteils undifferenziert Partei ergreifenden Artikel in vielen früheren Qualitätsmedien, die einer schleichenden Boulevardisierung anheimfallen, seien es die schon angesprochenen blossen Meinungen, die in den nicht so sozialen Medien herausposaunt werden und schnell in wüste Beleidigungen sowie  herz- und geistlosen Ergüssen münden. Oder sei es die vielleicht zu schnell erfolgte Drohung mit Referendum seitens unseres Verbandes CIVIVA.

Und zuletzt vermisse ich, manchmal auch bei mir selber, die Fähigkeit, andere Haltungen zu akzeptieren und den eigenen Standpunkt nicht zur allgemein gültigen Wahrheit hochzustilisieren. Pflegen wir eine offene Diskussionskultur, in der Werte wie Anstand, Respekt und freiheitliches Denken selbstverständlich sind und Lösungen statt neuer Probleme gesucht werden!