Pragmatischer Blick der Jungen

Seit 1996 können junge Schweizer statt Militär- einen zivilen Ersatzdienst leisten, seit 10 Jahren ohne Gewissensprüfung. Wie stehen junge Stellungspflichtige heute zum Zivildienst? Lukas Leuzinger auf Augenschein am Orientierungstag.

«Jetzt bist du dran!», sagen Manu und Didi und zeigen mit dem Finger in die Kamera. Es ist das Ende eines Lehrfilms, in dem die junge Frau und der junge Mann in kumpelhaftem Ton das Schweizer Sicherheitssystem und insbesondere Sinn und Zweck der Armee erklären, begleitet von stimmungsvoller Musik und Action-Szenen.

Die rund 50 Männer, die an diesem Montagmorgen in einem Schulungsraum in der Kaserne Reppischtal sitzen, nehmen die Aufforderung von Manu und Didi eher gleichmütig zur Kenntnis. Sie haben das 18. Altersjahr vollendet und sind damit wehrdienstpflichtig; am Orientierungstag sollen sie erfahren, was es damit auf sich hat. Wie viel wissen sie über den Zivildienst? Wie denken sie über diese Dienstform? Ist sie vielleicht für den einen oder anderen eine Option?

Unkenntnis über Unterschiede
Als der Schreibende dienstpflichtig wurde, war der Zivildienst keine zehn Jahre alt und brachte es am Orientierungstag auf eine kurze Erwähnung in einem Nebensatz. Inzwischen hat sich einiges verändert. Um zum Zivildienst zugelassen zu werden, muss man keine Gewissensprüfung mehr bestehen. Das hat dazu beigetragen, dass die Zahl der Zulassungen deutlich gestiegen ist. Gleichwohl entscheidet sich noch immer der überwiegende Teil der Stellungspflichtigen für den Militärdienst. Auch von der Gruppe, die an diesem Montag am Orientierungstag teilnimmt, hat die Armee kein massenhaftes «Abschleichen» zu befürchten. Gemäss einer nicht-repräsentativen Umfrage vor Ort beabsichtigt die grosse Mehrheit, ins Militär zu gehen.

Zivildienst 10 Minuten lang Thema
Der Zivildienst ist zwar in den Ausführungen des Armeevertreters während etwa zehn Minuten ein Thema. Gleichwohl scheinen danach nicht alle wirklich Bescheid zu wissen. Auch der Unterschied zum Zivilschutz ist einigen noch nicht klar. Dass es den Zivildienst erst seit 20 Jahren gibt, überrascht viele. Und der Hinweis, dass vorher junge Männer, die nicht in die Armee wollten, ins Gefängnis kamen, löst ungläubiges Staunen ausDiego aus Stäfa hat gerade die Matur gemacht. Nun möchte er möglichst rasch die Rekrutenschule hinter sich bringen. «Militärdienst leisten zu müssen, ist nicht lässig», sagt er. «Aber ich sehe den Sinn dahinter.» Es sei nötig, die Landesverteidigung sicherzustellen. Den Zivildienst findet Diego ebenfalls nützlich. «Zudem ist dort der Wert für die Gesellschaft direkter sichtbar.» Allerdings dauere er länger, weshalb er letztlich wohl doch ins Militär gehen wird.

Dienstdauer und Planbarkeit
Aspekte wie die Dienstdauer, die Planbarkeit oder die Art der Aufgaben werden häufig genannt, wenn es um den Zivildienst geht. Die Frage, in welcher Form sie ihre Dienstpflicht erfüllen wollen, beantworten die meisten der jungen Männer pragmatisch. Und pragmatisch argumentiert auch der Vertreter der Armee, als es um das heikle Thema Funktionsausbildung geht. Dass jemand zum Weitermachen gezwungen werde, sei «sehr selten», versichert er den Stellungspflichtigen auf Nachfragen. Und rät ihnen: «Bevor Sie daran verzweifeln, wechseln Sie in den Zivildienst!»

Vor der Abschaffung der Gewissensprüfung waren unter den Zivis viele überzeugte Pazifisten und Anti-Armee-Aktivisten. Mit den gestiegenen Zulassungszahlen dürfte diese Gruppe inzwischen eine Minderheit darstellen. Von Gewissenskonflikten ist jedenfalls kaum die Rede, wenn die jungen Männer über den Zivildienst sprechen.

Erinnerungen an den Krieg
Und doch gibt es sie noch: die Verweigerer aus Gewissensgründen. Zum Beispiel Sreten. Der 18-Jährige wohnt in Wallisellen, macht in Zürich die Lehre zum Detailhandelsassistenten und will unbedingt in den Zivildienst. Er nennt dafür «familiäre Gründe»: Sein Vater ist Serbe, die Mutter bosnische Kroatin, beide erlebten den Balkankrieg hautnah. «Mein Vater hat mir viel von dieser Zeit erzählt», sagt Sreten und ergänzt vielsagend: «Krieg ist nichts Schönes.» Er selber habe schon Albträume deswegen gehabt. «Ich kann mir nicht vorstellen, Menschen zu töten oder Gewalt anzuwenden.» Dass der Zivildienst eineinhalbmal länger dauert, nimmt er in Kauf.

Auf den Zivildienst aufmerksam geworden ist er an der Schule, wo ein Zivi tätig war. Einen Einsatz im Schulbereich würde er selber gerne leisten. «Braucht man dazu ein Studium?», fragt er – und reagiert erleichtert, als er erfährt, dass dies nicht zwingend nötig ist.