Vorwurf: «zurückgeblieben»

Artikel aus schweizerischen Zeitungen der 1980er-Jahre zeigen, wie Militärverweigerer dargestellt wurden: von Reduktion auf den Einzelfall, «Psychiatrisierung» bis Kriminalisierung kam alles vor. Eine kritische Lektüre von Andrea Schweizer.

«Opfer der Wohlstandsverwahrlosung», «unreif» und «arbeitsscheu» – nur drei Bezeichnungen, mit denen Schweizer Medien in den 1980er-Jahren Militärverweigerer beschrieben. Die Beratungsstelle für Militärverweigerer führte ab 1981 Beratungen von Militärverweigerern durch. Sie sammelte Zeitungsartikel aus der Schweizer Medienlandschaft, die ein deutliches Bild der öffentlichen Wahrnehmung der Militärverweigerer zeichnen. Die in den Medien beschriebenen Verweigerer lassen sich in zwei Gruppen aufteilen: die «Psychiatrisierten» und die Drogensüchtigen/Kriminellen.

Betonung psychischer Störungen

Im Mediendiskurs dominierten in Bezug auf Verweigerer Begriffe wie «psychischer Ausnahmezustand», «neurotische Fehlentwicklung» und «Identitätskrise». Ausserdem wurden die Begriffe von einigen Medien in einen Kontext gestellt, in dem der familiäre Hintergrund der Militärverweigerer relevant war. Daraus wurde der Schluss gezogen, dass Verweigerer mit schwierigem Familienhintergrund entweder aufgrund eines gestörten Männlichkeitsbilds verweigerten oder weil die familiäre Situation eine psychische Störung ausgelöst hatte. Die Verweigerer wurden auf Aspekte ihrer Persönlichkeit reduziert, die laut Gutachten und dessen Interpretation durch die Medien für psychische Störungen sprachen. Mit der Betonung psychischer Störungen wurden die Militärverweigerer von diesen Medien als unzurechnungsfähig («geistige Reife» und «Identitätskrise») beschrieben. Ebenso wurde durch verschiedene Medien gefolgert, dass, wer sich gegen den Militärdienst als Pflicht des Schweizer Bürgers wehrte, in der Entwicklung zurückgeblieben war.

In Zusammenhang mit der «Psychiatrisierung» war der «Alkohol- und Drogenkonsum» der Verweigerer für viele Medien ein Thema. Alkohol- und drogensüchtige Verweigerer wurden in den Medien kriminalisiert. Durch die Aufarbeitung des «Leumundes» oder «Strafregisters» sollte ein Grund für die Verweigerung gefunden werden. Mit dem Hervorheben des «Drogenkonsums» und der Attribute «arbeitsscheu» und «lange Haare» sollten die Militärverweigerer einerseits als unzurechnungsfähig dargestellt werden, andererseits sollte ihre Ablehnung gegen das «bürgerliche Leben» aufgezeigt werden. In Artikeln zu Militärverweigerer-Prozessen versuchten konservative und liberalere Medien, eine Antwort für das von der Gesellschaftsnorm abweichende Verhalten und die «Missachtung der Bürgerpflicht» zu finden. Verurteilten Verweigerern wurden lange Artikel gewidmet, wenn sie anderweitig straffällig geworden oder drogenabhängig waren oder sonst nicht den Normen entsprachen. Viele Medien nahmen auch eine Individualisierung der Verweigerer vor: Militärverweigerer wurden als Einzelfälle, nicht als schweizweite Bewegung dargestellt. Auch wurden die Gründe für die Verweigerung im Individuum gesucht, nicht beim Militär. Zuletzt wurden durch «Psychiatrisierung» und Kriminalisierung Verweigerer als unzurechnungsfähig dargestellt, was ihre Verweigerung verharmloste.

Und im Jahr 2018?

«Der Zivildienst ist so beliebt wie nie zuvor», titelte der «Tages-Anzeiger» am 12. Januar 2018 in der Onlineausgabe. Trotzdem möchte der Bundesrat die Zahl der Zulassungen zum Zivildienst verringern und so sicherstellen, dass die Armee genug Personal hat. Zwar werden im aktuellen Mediendiskurs die zivildienstinteressierten und Militärdienst ablehnenden Männer und Frauen nicht mehr «psychiatrisiert» oder kriminalisiert, jedoch wird ihnen vorgeworfen, dass sie einfach keine «Lust» hätten, der Wehrpflicht nachzukommen, da der Zivildienst die «komfortableren» Rahmenbedingungen böte und dass sie die Wehrpflicht nicht «ernst nehmen». Dabei dominiert die Angst, dass diese «Abschleicher» dafür sorgen könnten, dass die Schweiz bald ohne effektive Armee dastehe. Wie in der Endphase des Kalten Krieges, als die GSoA aktiv wurde, scheint auch heute die Angst vor der Abschaffung der Armee den politischen Diskurs zu dominieren. Das Leisten des Wehrdienstes wird als Erfüllung der Bürgerpflicht, das Leisten des Zivildienstes vielerorts als Normabweichung angesehen.

Andrea Schweizer doktoriert an der Universität Zürich über die Schweizer Friedensbewegung während des Kalten Kriegs.