Als in Deutschland die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, wurde ein Bundesfreiwilligendienst eingeführt. Fazit nach sieben Jahren: 30 Prozent brechen den «Bufdi» frühzeitig ab. Warum, zeigt Katrin Werner.
Was in der Bundesrepublik Deutschland jahrelang undenkbar schien, wurde im Jahr 2011 quasi im Eilverfahren vom Deutschen Bundestag beschlossen – die allgemeine Wehrplicht für Männer ab 18 Jahren wurde zum 1. Juli ausgesetzt. Während das vorläufige Ende des Wehrdienstes bei vielen jungen Männern für Jubelschreie sorgte, sah sich der Staat vor grosse Herausforderungen gestellt, denn auch der verpflichtende Zivildienst für Kriegsdienstverweigerer endete mit dem Aussetzen der Wehrplicht. Zuvor arbeiteten etwa 62’000 Zivildienstleistende pro Jahr im sozialen oder ökologischen Bereich, beispielsweise in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen.
Mit dem Ziel das Ehrenamt zu stärken und den Verlust des Zivildienstes aufzufangen, wurde zum 1. Juli 2011 der Bundesfreiwilligendienst (BFD) eingeführt. Daraufhin wurden Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Menschen unabhängig vom Geschlecht, Alter und vom Bildungsstand motiviert werden, sich freiwillig im sozialen bzw. ökologischen Bereich zu engagieren. Zudem wurden die Handlungsfelder auf die Bereiche Kultur, Sport, Migration und Bildung ausgeweitet.
Den Dienst vorzeitig quittiert
Wie beim Zivildienst gilt der Grundsatz der Arbeitsmarktneutralität. Die Freiwilligen dürfen nur ergänzende Tätigkeiten ausüben, aber keine hauptamtlichen Arbeitskräfte ersetzen. Da es sich um einen Freiwilligendienst handelt, wird kein Gehalt, sondern ein Taschengeld von 390 Euro im Monat gezahlt. Zusätzlich werden die Kosten für die Sozialversicherung, Unterkunft und Verpflegung übernommen.
Grundsätzlich kann sich jeder engagieren, der die Vollzeitschulpflicht erfüllt hat – eine Altersgrenze nach oben, wie bei anderen Freiwilligendiensten, gibt es nicht. Die Dauer des Dienstes ist auf 6 Monate bis 18 Monate ausgelegt. Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass der Bundesfreiwilligendienst seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird. Eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung von der Bundestagsfraktion DIE LINKE. ergab, dass seit der Einführung im Jahr 2011 bis zum 1. Quartal 2018 über 300’000 Menschen einen Bundesfreiwilligendienst angetreten haben. Allerdings haben auch 30 Prozent der Freiwilligen den Dienst vorzeitig beendet.
Die Gründe für die Abbrüche sind immer individuell, beispielsweise fanden einige doch noch eine Ausbildungsstelle oder ein Studienplatz. Wenn jedoch fast ein Drittel der Freiwilligen ihren Dienst vorzeitig beenden, muss nach weiteren Ursachen geforscht werden. Schlechte Arbeitsbedingungen und fehlende pädagogische Begleitung werden dabei nur als einige Gründe genannt. Die Qualität des Dienstes, der Arbeitsbedingungen und des Bildungsprogramms müssen daher auf den Prüfstand gestellt werden. Problematisch ist auch, dass viele Freiwillige zwischen 27 und 65 Jahren, insbesondere in Ostdeutschland, den Dienst offenbar nutzen, weil sie darin eine Alternative zu ihrer eigenen Erwerbslosigkeit sehen. Die Grenze zwischen Ehrenamt und geringfügiger Beschäftigung scheint hier fliessend. Diese finanzielle Motivation stellt allerdings den Freiwilligencharakter des Dienstes infrage und macht ihn eher zu einer arbeitsmarktpolitischen Massnahme – der BFD ist jedoch nicht als Lückenfüller für eine verfehlte Arbeitsmarktpolitik geschaffen worden.
Mögliche Verstösse
Zu möglichen Verstössen gegen die Arbeitsmarktneutralität konnte die Bundesregierung keine Zahlen vorlegen. Es besteht das Risiko, dass reguläre Arbeitsplätze in den Dienststellen durch Freiwilligendienstleistende ersetzt werden, was den eigens formulierten Ansprüchen widerspricht. Daher braucht es eine unabhängige Stelle, die Beschwerden aufnimmt und die Arbeitsmarktneutralität der Einsätze flächendeckend überprüft. Zwar gibt es mit dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) eine beim Familienministerium angesiedelte Bundesbehörde, die für die Durchführung des BFD und die Koordination der Arbeit mit den Einsatzstellen zuständig ist. Allerdings sind im BAFzA derzeit 20 Prüferinnen und Prüfer angestellt, um die Arbeitsmarktneutralität zu überprüfen. Bei aktuell 72’695 Einsatzstellen (Stichtag: 23.07.18) sind diese durchschnittlich jeweils für 3635 Einsatzstellen zuständig. Angesichts dieser Zahlen ist es nicht verwunderlich, dass die Bundesregierung keine umfassenden Daten zu Verstössen melden kann. Eine deutliche Aufstockung des Personals wäre zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Evaluation sicherstellen
Eine ausgeprägte Freiwilligenkultur ist ein elementarer Bestandteil jeder Demokratie. Sie kann aber nicht den Staat ersetzen, der sich durch eine neoliberale Sparpolitik zunehmend aus dem Bereich des Sozialen zurückgezogen hat und die Aufgaben an Bürgerinnen und Bürger delegiert, die sich ehrenamtlich engagieren. Mängel im Bildungssystem, in der Pflege und eine fehlende soziale Infrastruktur können nicht nur durch den Bundesfreiwilligendienst kompensiert werden. Das gesellschaftliche Potenzial des Bundesfreiwilligendienstes kann nur dann vollständig ausgeschöpft werden, wenn eine Qualitätssicherung und permanente Evaluation in Kooperation mit Verbänden, Einrichtungen und Teilnehmenden sichergestellt wird.
Katrin Werner ist Politikerin der Partei Die Linke. Sie gehört seit 2009 dem Deutschen Bundestag an.