Zivildienst als Schule fürs Leben

Direkt nach der Matura seinen ganzen Zivildienst in einem Tagesheim für Demenzkranke leisten, das muss man erst einmal wagen und durchstehen! Manuel Bignasca hat es getan. Er berichtet, warum er diese Zeit nie vergessen wird.

«Schatz, ich glaube du hast meine Hose an», sagte Frau W. zu Herrn B. an meinem ersten Schnuppertag. Frau W. kam gerade nach ihrem Mittagsschlaf aus dem Zimmer. Diese zwei Menschen mit Demenz haben sich in der Tagesstätte Atrium ineinander verliebt und während der Mittagspause immer miteinander gekuschelt. Ich konnte mich vor Lachen kaum zurückhalten, als ich Herrn. B mit Leggins und Frau W. mit ganz lockeren, für sie viel zu grossen Jeans sah.

Das war der erste Moment, in dem ich realisiert habe, wie schwerwiegend diese Krankheit eigentlich ist – es war der Moment, in dem ich bemerkte, wie sehr Menschen mit Demenz auf Hilfe und Unterstützung in Alltagsdingen angewiesen sind.

Nach meiner Matura im Sommer konnte ich im Atrium (es gehört zur Stiftung Basler Wirrgarten) meinen Zivildiensteinsatz leisten. Es gefiel mir dabei so sehr, dass ich gleich meine ganzen 13 Monate dort absolviert habe. Das Atrium ist eine Tagesstätte für Menschen mit Demenz. Sie dient vor allem Angehörigen, damit diese entlastet werden von ihren an Demenz erkrankten Verwandten. Die Tagesstätte dient aber auch den Menschen mit Demenz, indem sie ihnen die Möglichkeit für verschiedene Tagesbeschäftigungen bietet.

Unvergessliche Erfahrungen

Mein Zivildienst im Atrium war erfüllt von traurigen, glücklichen und, wie eingangs beschrieben, extrem amüsanten Momenten. Am schwierigsten war es für mich, einer Frau zu erklären, wieso sie in ein Altersheim eintreten muss und warum sie nicht mehr zu Hause leben darf, in ihrem gewohnten Umfeld. Noch schwieriger machte sie es, weil sie ständig nachfragte, weil sie meine Antwort nach einiger Zeit wieder vergessen hatte. Ich konnte ihr ja nicht sagen, dass ich ihre Gefühle kenne, da ich selbst noch nie in einer solchen Situation war. Also konnte ich ihr nur beistehen und ihr bei dieser schweren Lebensentscheidung eine Schulter zum Weinen anbieten.

Viele Momente meines Zivildiensteinsatzes werde ich, glaube ich, nie vergessen. Ob es die wohl lustigsten Singstunden waren, die ich je hatte, oder die stillen, jedoch wunderschönen Spaziergänge am Rhein: jede einzelne dieser Situationen hat mir neues Wissen gebracht. Meine Aufgaben als Zivi waren dabei jeden Tag andere: Kaffee servieren, Wäsche waschen, Spiele spielen, die Menschen dazu motivieren, etwas zu unternehmen, Spaziergänge mit ihnen machen, Mittagessen kochen, Ping-Pong spielen oder auch schon einmal eine Gymnastikrunde leiten. Aber auch mal nur schweigend neben einer Person zu sitzen gehörte zu meinem Pflichtenheft.

Geduld, Nähe und Aufmerksamkeit

Von Aussen sieht das vielleicht eher nach einer «chilligen» Arbeit aus, aber dahinter steckt viel mehr, und es ist auf der menschlichen Ebene sehr herausfordernd. Menschen mit Demenz brauchen sehr viel Geduld, Nähe und Aufmerksamkeit. Man muss das richtige Mass finden, sonst kann schnell eine ganz gewöhnliche Situation des Alltags schnell zu einem Streit ausarten. Bei meinem Zivildiensteinsatz habe ich viel Geduld, viel Wissen über die Vergangenheit sowie ein grosses Verständnis für Menschen für mich dazu gewonnen. Diese Einsichten und Lehren nehme ich nun in meine Zukunft mit.

Im Herbst will ich an die Hotelfachschule gehen. Mitnehmen von meiner Zeit als Atrium-Zivi kann ich verschiedenste Erfahrungen: Vom Kochen für teilweise mehr als 20 Person über das Bedienen der Gäste während des Mittagessens bis hin zu der Geduld, die nötig ist, um auf die Menschen mit Demenz eingehen zu können. Jeder Mensch ist anders. Hat seinen eigenen Charakter. Das ändert sich auch in einer solchen Krankheit nicht.

Fit für die Zukunft

Ausserdem habe ich einiges in Sachen Kommunikation dazu gelernt. Ich denke, alle diese gesammelten Erfahrungen werde ich in Zukunft noch sehr oft gebrauchen können! Durch den Zivildiensteinsatz in einer Tagesstätte für Menschen mit Demenz musste ich lernen, mich selbst zu öffnen. Um mit Menschen, die an Demenz erkrankt sind, gut zu kommunizieren muss man sich an die jeweilige Person anpassen. Manche von ihnen haben eine Sprachstörung und können keinen Satz mehr fliessend sprechen. Andere fragen alle dreissig Sekunden, wo sie sind und weshalb sie dort sind. Je nach der Situation muss man sich dann anders verhalten, mit Humor antworten oder ernst bleiben und den Demenzkranken die Lage, in welcher sie sich befinden, klarmachen: das Ganze nennt man personzentrierte Kommunikation. Der Zivildienst hat mich sehr geprägt und mir in gewissen Aspekten die Augen geöffnet.