Dienst für mündige Bürgerinnen und Bürger

Die Schweiz, eine liberale Demokratie, hatte lange Zeit Mühe damit, eine Alternative zum Militärdienst anzubieten. Erst über hundert Jahre nach der Einführung der Wehrpflicht wurde ein Zivildienst etabliert.

Die Schweiz, eine liberale Demokratie, hatte lange Zeit Mühe damit, eine Alternative zum Militärdienst anzubieten. Erst über hundert Jahre nach der Einführung der Wehrpflicht wurde ein Zivildienst etabliert, zuvor gab es für Männer im wehrfähigen Alter nur die Möglichkeit, sich durch Untauglichkeit, also wegen echter oder vorgetäuschter Krankheit zu entziehen, oder mit der Konsequenz der vollen Wucht des Gesetzes den Dienst zu verweigern und damit zu riskieren, für längere Zeit im Gefängnis zu landen. Generell ist es eine bemerkenswerte Konstellation, dass eine liberale Demokratie Männer zum Dienst an der Waffe zwingt. Sie lässt sich erklären aus der in der Schweiz vorherrschenden Interpretation des Liberalismus. Eine Interpretation wäre, dass jede Form von Zwangsdienst ein unbilliger Eingriff in die Freiheit des Citoyens ist. Die Sichtweise, die sich in der Schweiz allerdings durchgesetzt hat, interpretiert den Zwangsdienst als Notwendigkeit zur Verteidigung der liberalen Demokratie der Eidgenossenschaft. Es gäbe also, so die Vertreterinnen und Vertreter dieser Position, einen individuellen Zwang, der sich aus dem zu verteidigenden Ideal einer freien Gesellschaft ableiten liesse. Der aus dieser Interpretation des Liberalismus abgeleitete Zwangsdienst hat zwischen 1947 und 1996 zu unzähligen Verurteilungen von Personen geführt, die den Dienst an der Waffe aus politischen, ethischen, religiösen oder anderen Gründen verweigert haben. Viele dieser Verweigerer mussten ins Gefängnis, sahen sich schwerwiegenden Restriktionen ausgesetzt, kämpften lange Jahre mit den psychischen Folgen der Inhaftierung. Dienstverweigerer wurden vielfach in ihren Gemeinden geschnitten, Dossiers wurden über sie angelegt und es gibt zahlreiche Fälle von Diskriminierung. Dankenswerterweise hat die Eidgenossenschaft erkannt, dass es Unrecht ist, Männer zum Dienst an der Waffe zu zwingen und hat deshalb 1996 den Zivildienst eingeführt. Es bleibt allerdings die grundsätzliche Tatsache, dass der Staat Menschen zum Zwangsdienst der einen oder anderen Art verpflichtet. Im Zuge der Diskussion um die Volksinitiative zur Aufhebung der Wehrpflicht im Jahr 2013 hat der Bundesrat denn auch noch einmal bekräftigt, dass er die Militärdienstpflicht (und damit auch den Zivildienst) für völkerrechtlich zulässig, mit einer freiheitlichen Ordnung vereinbar, demokratisch legitimiert und für in der Schweiz staatspolitisch fest verankert hält. So weit, so gut. Allerdings identifiziere ich drei Probleme, die auf lange Sicht gelöst werden müssen und teilweise auch im Parlament kontrovers diskutiert werden.  

Fragwürdige Praxis

Problem Nummer eins betrifft die sogenannten «Abschleicher» – ein ebenso herablassender wie unangemessener Begriff. Neuerdings sollen Personen, die sich während oder nach der Rekrutenschule für den Zivildienst entscheiden, damit belastet werden, dass ihnen nur mehr die Hälfte der bereits geleisteten Diensttage angerechnet wird. Die nach Praxiserfahrungen gereifte Gewissensentscheidung gegen den Zwangsdienst an der Waffe wird damit doppelt sanktioniert. Nebst dem Tatbeweisfaktor von 1,5 soll die Halbierung der anrechenbaren Diensttage den vermeintlich zu attraktiv gewordenen Wechsel in den Zivildienst vergällen. Das ist eine ebenso fragwürdige wie komplizierte Praxis, für die in den Abstimmungen eine solide konservativ-liberale Mehrheit zustande kam.  

Unsichtbare Abschleicher?

Das zweite Problem wird im Parlament in schon fast rührender Manier behandelt. Es wurde erkannt, dass Zivildienstleistende, anders als Soldaten, in der Öffentlichkeit zu wenig sichtbar sind. Ergo sollen, ebenfalls seit Juni, Zivildienstleistende verpflichtend eine Uniform oder zumindest eine Armbinde mit der Aufschrift «Zivildienstleistender» tragen. Die Armbinde möge dazu dienen, die Zivildienstleistenden sichtbar zu machen, denn sie leisten einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft. Man kommt indes nicht umhin, diese Motion im direkten Widerspruch zur oben genannten Diskussion um die «Abschleicher» zu sehen, werden die Zivildienstleistenden doch einerseits als «Drückeberger» bezeichnet, andererseits soll ihr Wert für die Gesellschaft durch Symbolik anerkannt werden.  

Ungleichbehandlung

Das dritte und vielleicht gravierendste Problem ist die vollständige Ausblendung der Frauen. Zur Erinnerung: Der Nationalrat hat gerade eine AHV-Reform beschlossen, die vorsieht, das Rentenalter von Frauen im Namen der Gleichberechtigung auf 65 Jahre zu erhöhen. Wieso, fragt man sich, und mit welcher Begründung, kann die Schweiz, in der die Gleichberechtigung von Frau und Mann Verfassungsrang besitzt, den Zwangsdienst nur für Männer rechtfertigen? Im Jahr 2017 scheint das anachronistisch.  

Armbinden reichen nicht

Die Lösung aller drei Probleme kann meines Erachtens nur in einem radikalen Umbau des Systems von Militär- und Zivildienst liegen. Eine einer liberalen Gesellschaft angemessene Lösung kann nur ein freiwilliger Dienst sein, sei es Militär- oder Zivildienst, zugänglich für Männer und Frauen. Bürgerinnen und Bürger können sich dann dafür entscheiden, keinen Dienst für die Gesellschaft zu leisten oder ihre liberale Demokratie im Militär verteidigen zu wollen, sie können aber ebenso zum Schluss kommen, dass einer liberalen Gesellschaft durch die Arbeit in einem Altenpflegeheim besser gedient ist. Sollten sich Bürgerinnen und Bürger für einen Dienst für die Gesellschaft entscheiden, sollte die Anerkennung dieser Tätigkeiten für die Gesellschaft indes nicht in Form von Uniformen oder Armbinden erfolgen, sondern durch angemessene Aufwandsentschädigungen und Gratifikationen. So wäre es zum Beispiel denkbar, dass Personen, die einen Dienst für die Gesellschaft erbringen, mit Zusatzjahren in der AHV bedacht werden. Ebenso wäre das Erwerben von Anrechten für ein späteres Sabbatical denkbar. Mit Massnahmen dieser Art würde eine liberale Gesellschaft freiwilligen Diensten von mündigen Bürgerinnen und Bürgern Anerkennung zollen, und zwar Männern und Frauen. Wäre das nicht nützlicher als eine Armbinde?     über den Autor Sebastian Schief, Lehr- und Forschungsrat am Departement Sozialwissenschaften der Universität Fribourg. Schwerpunkte: vergleichende Forschung zu Industriellen Beziehungen, Wohlfahrtsstaat und Sozialpolitik. sebastian.schief@unifr.ch (gs)