Keine Zukunft ohne Geschichte und Debatte

Der Zivildienst ist fest in der Gesellschaft verankert – heute schon sehr, morgen noch mehr. –Bericht vom Jubiläums-Fest von CIVIVA und PS vom sicherheitspolitischen Podium an der Bevölkerungsschutzkonferenz.

Am Samstag, dem 3. September 2016, feierte CIVIVA das 20-jährige Bestehen des Zivildienstes. Wir versammelten uns in der Freien Kirche Elisabethen in Basel. Teilgenommen haben an gegen achtzig Gäste. Eine Ausstellung, ein Podium, Kulinarik und Musik erwartete sie. Es kamen Frauen und Männer, Direktbetroffene und interessierte Beobachter, von Unterstützer der Friedensbewegung, die sich seit Jahrzehnten dafür einsetzen, genau so wie Achtzehnjährige, die noch vor der Aushebung stehen. Das Jubiläumsmotto lautete: «Mit Visionen in die Zukunft» (herzlichen Dank an CIVIVA-Vorstandsmitglied Stephan Meier – der unter anderem den Fest-Banner gestaltete). Mit Ideen, Inspirationen und Visionen kann man nur in die Zukunft, wenn man weiss, woher man kommt – welche Hindernisse man überwinden musste. Zur Vermittlung dieses historischen Kontexts diente die von Vorstandsmitglied Piet Dörflinger gestaltete Ausstellung.

Ausstellung als Dankeschön

Die Ausstellung bettete den Zivildienst ein in den mehr als hundert Jahre langen Kampf der Friedensbewegung. Auch Leuten, die sich schon lange für den Zivildienst engagieren, wurde hier wieder bewusst: während die einen schlimmstenfalls mit weichen Knien nach Thun zur damals noch üblichen Gewissensprüfung zitiert wurden, gibt es mitten unter uns viele Leute, die wegen ihrem Gewissen ins Gefängnis wanderten oder fichiert wurden. Die Ausstellung war auch ein Dankeschön an sie: danke, dass ihr, so friedensbewegt wie kämpferisch, den Nötigungen, mit denen bis 1996 die Militärpflicht durchgetrötzelt wurde, ein Ende gesetzt habt.

Nachdem der Blick für Vergangenheit und Gegenwart des Zivildiensts geschärft war, blickten wir nach vorne. Und zwar an der Podiumsdiskussion zum Thema «Dienst für alle?». Der Diskussion stellten sich Christoph Hartmann (Leiter der Vollzugsstelle für den Zivildienst), Georg Kreis (Historiker, Basel), Leila Straumann (Leiterin Gleichstellungsbüro Basel-Stadt) und CIVIVA-Geschäftsführer Nicola Goepfert. Moderator Frank Lorenz (Co-Leiter der Offenen Kirche Elisabethen) sprach folgende Fragen an: «Sollen auch Frauen und AusländerInnen obligatorisch Dienst leisten müssen?» – «Könnten nicht auch Militär- und Schutzdienstuntaugliche Zivildienst leisten?» – «Sollte jeweils möglichst ein ganzer Jahrgang Dienst leisten oder bringt es mehr, wenn man nur diejenigen rekrutiert, die es braucht?» Um diese Themen entstand eine engagierte Diskussion.

Hartmann veranschaulichte die Neuerungen aus der Revision des Zivildienstgesetzes und der damit zusammenhängenden Verordnung. Kreis hinterfragte den mit der Wehrpflicht zusammenhängenden Verfügungsanspruch des Staates auf den Mann. Straumann machte auf den enormen Einsatz von Frauen im beruflichen und im unbezahlten Pflegebereich aufmerksam und zeigte, warum eine Frauen-Dienstpflicht zum jetzigen Zeitpunkt unangebracht wäre. Nicola betonte die gesellschaftliche Rolle des Zivildiensts und seinen Beitrag zur sozialen Sicherheit. Er vertrat den Standpunkt von CIVIVA, dass eine Öffnung des Zivildiensts auf freiwilliger Basis für Frauen und Personen ohne Schweizer Pass den Dienst an der Gesellschaft ausbauen kann und sinnvoll ist.

Musisch-kulinarisches Rahmenprogramm

Nach dieser von vielen Publikumsfragen bereicherten Diskussion gab es ein gemütliches Essen auf dem Vorplatz der Kirche. Für uns gekocht hat der Verein zur Bleibe aus Basel. Es gab herrlich würzige Leckerbissen aus dem Balkan. Eine besondere Freude war der Auftritt der Band Strello, bei der Vorstandsmitglied Lukas Kuster Akkordeon spielt: mit ihrer tanzbaren Strassenmusik hauten sie die Leute von den Sitzbänken. Augenzwinkernd ernste Musik kam von Liedermacher Andreas Fröhlich, bevor der klassische Gitarrist Philipp (er nannte keinen Nachnamen) den Abend mit mal jazzigen, mal an Granada denken lassenden Klängen ausklingen liess. Ein herzliches Dankeschön im Namen von CIVIVA für den Einsatz des Organisationsteams und aller Beteiligten: ohne euch wäre dieser tolle Anlass unmöglich gewesen.

Postskriptum

Zum Abschluss noch einmal zu unserem Podium. Klar, alle Diskutanten waren Pro-Zivildienst. Diese Tendenz war von uns jedoch unbeabsichtigt: aber von den angefragten Gegnern war keiner bereit, mitzumachen. Zu einseitig sei die Teilnehmerliste, hiess es. Schade, denn zu einer konstruktiven Debatte gehören Zu- und Widerspruch. Es ist Teil des demokratischen Grundverständnisses, nach allen Seiten Red und Antwort zu stehen. Besonders auch seinen Gegnern. Aus diesem Grund nahm CIVIVA ja auch die Einladung des Departements Parmelin zur Bevölkerungsschutzkonferenz an. An dieses Stahlhelm-Stelldichein reisten Lukas Kuster und Nicola Goepfert Mitte Oktober.

Zu den Themen gehörten Sicherheitspolitik, Zivildienst, Zivilschutz und Armee. Es wurde auch ohne Beaufort-Skala klar, woher der Wind weht: so befasste sich  die Runde fast nur mit dem Zivildienst. Es war wie erwartet Nicola, der einen Helm gut hätte brauchen können. Sechs von fünf Diskutanten sagten Dinge wie «Der Zivildienst ist zu attraktiv», «Ihr klaut der Armee die Leute» und sogar Kalte-Krieg-Klassiker wie: «Nur der harte Militärdienst kann die weiche Jugend erziehen.» Mit Staatsrätin Béatrice Métraux (GPS; VD), Nationalrat Raymond Clottu (SVP; NE), Oberst i Gst Stefan Holenstein (Präsident Schweizerische Offiziersgesellschaft) und Walter Müller (FDP, SG; Präsident Schweizer Zivilschutzverband) hatte sich eine illustre Runde von Zivildienstgegnern und –skeptikern versammelt.

Unermüdlich wies Nicola auf die vielen Bundesrat-Berichte hin, die bestätigen, dass der Zivildienst eben gerade keine Bedrohung der Armee ist. Dazu hiess es, man müsse dem Bundesrat – dem obersten Vorgesetzten dieser argumentativen Dienstverweigerer! – eben auch nicht alles glauben. Mindestens ebenso sehr wie wir über solche «Einwände» staunte die versammelte Sicherheitspolitik-Prominenz über uns zwei Zivis, die wir uns nicht aus der Ruhe bringen liessen, sondern die Angriffe sachlich parierten.

Am Ende kam es auch auf Militärseite zu Selbstkritik. So hiess es etwa, dass man das Militär durchaus gerne attraktiver machen würde, anstatt andauernd nur den sexy Zivildienst zu verunstalten. Nur sei das vom System her nicht ohne Weiteres möglich. Aber so viel Offenheit hin oder her – es blieb auch beim Apéro klar, wer sich in wessen Höhle gewagt hatte.

Und das ist gut so, denn es boten sich uns Einblicke unter Stahlhelme, während einige Gegner wohl erstmals überhaupt mit einem leibhaftigen Zivi reden konnten. Und spätestens beim Abendessen wurde lagerübergreifend kalauert. Beispiel gefällig? Treffen sich ein Zivilschützler und ein Zivildienstler. Sagt der Zivilschützler: «Du bist ja nur Zivi, weil du tauglich bist.» Der Zivi nickt. Der Zivilschützler sagt: «Wie schade.»