Als Zivi am Äquator

Ein Besuch bei einem Zivi in den Anden. – Reportage von Gregor Szyndler.

Lionels Grossmutter, Olivia, Silvana, Cedric, Fussballfan Lionel und der Schreibende.

Pomasqui, ein paar Kilometer nördlich von Ecuadors Hauptstadt Quito gelegen. Busse ziehen schwarze Rauchfahnen in Richtung Mitad del Mundo – also zum Äquator. Bergig ist es, die Landschaft karg: sofern von ihr etwas zu sehen ist, so dicht, wie hier alles überbaut ist. Ein riesiges Neubaugebiet erweckt den Eindruck, etwas planlos auf die Hügelzüge geklotzt worden zu sein. Pomasqui verzettelt sich zwischen Stadt und Dorf, verliert sich im Umland. Cedric Erb bestätigt meinen Eindruck, als er mich mit dem Pickup abholt.

«Das ist alles sehr schnell gewachsen in den letzten fünfzehn Jahren.» Cedric Erb ist gelernter Landschaftsgärtner. Er ist zur Zeit meines Besuchs in den letzten Wochen seines Zivildiensts. Seit einem halben Jahr arbeitet er hier für den Verein Pro Pomasqui. Es ist sein letzter Einsatz als Zivi – die anderen leistete er in der Schweiz, etwa in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung. Einfach war es nicht, für den Ecuador-Einsatz zugelassen zu werden. Cedric brachte aber einen guten Mix aus Fähigkeiten und Kenntnissen mit. Und Ausdauer – die er auch brauchte. Bereits vorletztes Jahr bemühte er sich um einen Zivi-Einsatz hier – leider vorerst noch vergeblich. Zu dieser Zeit war schon ein Zivi dort. Man ermunterte ihn, es in einem Jahr wieder zu versuchen. Cedric reiste privat nach Ecuador, lernte Land und Leute kennen und vertiefte sein Spanisch. Bis es ein Jahr später endlich klappte mit dem Einsatz und er seine sieben Sachen packte.

Jetzt fahren wir ins Gebirge. Es ist Zeit für die «Kontrollbesuche» bei den von Pro Pomasqui unterstützten Familien. Cedric mag das Wort «Kontrollbesuche» nicht, aber es läuft darauf hinaus. Pro Pomasqui unterstützt Familien mit Kindern im Schulalter finanziell. Um sicherzugehen, dass das Geld auch tatsächlich für die Schulbildung der Kinder ausgegeben wird, gibt es diese regelmässigen Besuche. 

Ich frage extra zweimal nach, ob es in Ordnung sei, wenn jemand Fremdes beim Gespräch dabei sei. Cedric und seine Kolleginnen Silvana und Olivia bejahen. Also setze ich mich mit aufs Sofa und erlebe, wie der elfjährige Sohn der besuchten Familie, ein Fussballfan, nennen wir ihn Lionel, Red und Antwort steht. Cedric erkundigt sich nach seiner Familie, der Gesundheit und den Finanzen seiner Eltern sowie nach den Schulbus-Preisen. Wie ein Familienoberhaupt sitzt Lionel da, wirkt nie verlegen, immer ernst, selten wie ein Kind seines Alters. 

Seine Eltern arbeiten beide, also muss er diese Aufgabe übernehmen. Lionel weiss, was es heisst, Verantwortung für die Familie zu übernehmen. Als ich ihn auf seine vielen Fussballpokale anspreche, die auf Hochglanz poliert herumstehen, blüht er auf. Und staunt, als ich ihm über Cedric ausrichten lasse, dass ich null Ahnung von Fussball habe. Er findet es lustig, dass jemand daherkommt und solche Fragen stellt, ohne Ahnung zu haben von Fussball oder Spanisch. 

Die Besuche von Cedric und seinen Kolleginnen dienen auch dazu, herauszufinden, wo den Leuten der Schuh drückt (Lionel vermisst den Zivi-Vorgänger von Cedric, der die Kinder in Musik unterrichtete). Cedric wird jedoch auch eingebunden, wenn es um die Entscheidung geht, ob Familien, die sich um Unterstützung bewerben, sie bekommen sollen. Seine Überlegungen werden genauso beachtet wie die seiner Kolleginnen und Kollegen. Solche Entscheide verlangen gutes Gespür und genaues Hinhören – Dinge, die Cedric später in der Schweiz beruflich weiterverfolgen will. Vom Landschaftsgärtnern hat er genug. Er freut sich auf seine Umorientierung in Richtung eines sozialen Berufe. Praktische Erfahrungen auf diesem Gebiet kann er dann bereits vorweisen.

Die meiste Zeit seines Einsatzes arbeitet Cedric aber im Recycling-Projekt. Hier sortiert er Müll, gärtnert in der Setzlingszucht oder verbessert den riesigen Komposthaufen. Das ist kein einfaches Unterfangen. Viele Einheimische werfen Fleisch und Plastik achtlos zum Grünabfall. Um bereits Schulkinder, sicher aber auch deren Eltern für die Umwelt zu sensibilisieren, gibt es hier einen Umweltlehrpfad, der sich steil ansteigend durchs Gelände zieht und vielerlei Pflanzen präsentiert und viele Informationen zu Themen wie Böden oder Grundwasser bereithält. Auch hier ist Cedric gefragt – sei es im Unterhalt der Anlage oder in der Pflege der vielen verschiedenen Pflanzen.

Insgesamt arbeiten zwanzig Leute für Pro Pomasqui (fast alles Einheimische, plus Freiwillige und ein Zivi) – etwa an den Schulen mit Mittagstisch, wo die Kleinen um 12 Uhr mit ihrem Geschirr klappern (Cedric und seine Kolleginnen essen hier; selten helfen sie auch aus, etwa im Garten). Ein ansteckenderes «Buenos dias» als nach meinem «Hola» habe ich kaum je gehört. Genau so wenig ein so helles und fröhliches Lachen, als ich mit «Buenas noches!» antworte und demonstrativ ein wenig schnarche. Die Kleinen lachen im Dutzend, bevor sie weiter plappern und klappern. Cedric muss für einmal nicht übersetzen.